Auszonung / Rückzonierung: Entschädigungsfrei trotz ursprünglich RPG-konformer Einzonung?
Ein neues Urteil des Bundesgerichtes vom 22.8.2024 mit weitreichenden Konsequenzen:
1. Sachverhalt:
Das Urteil des Bundesgerichts vom 22. August 2024 (1C_588/2023, 1C_593/2023, 1C_602/2023) betrifft die Rückzonung von Grundstücken in der Gemeinde Rickenbach im Kanton Luzern. Die Gemeinde Rickenbach, bestehend aus den Ortsteilen Rickenbach und Pfeffikon, wurde aufgrund ihrer Bauzonenüberkapazität als Rückzonungsgemeinde eingestuft. Im Rahmen der kantonalen Rückzonungsstrategie wurden bestimmte Grundstücke aus der Bauzone in die Landwirtschaftszone zurückgezont.
Die betroffenen Grundeigentümer, darunter die Erbengemeinschaft des A.A. und der B.A., die E. AG und F.F., erhoben Beschwerde gegen die Rückzonung ihrer Grundstücke. Sie argumentierten, dass die Rückzonung unzulässig sei und eine materielle Enteignung darstelle, die entschädigt werden müsse.
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2. Begründung des Entschedes
Das Bundesgericht wies die Beschwerden ab und bestätigte die Rückzonung der Grundstücke. Die wesentlichen Erwägungen des Gerichts waren:
a. Rechtsgrundlagen und Rückzonungsstrategie
- Gemäß Art. 15 RPG müssen Bauzonen dem voraussichtlichen Bedarf für 15 Jahre entsprechen. Überdimensionierte Bauzonen sind zu reduzieren.
- Der Kanton Luzern hat eine Rückzonungsstrategie entwickelt, die auf technischen Richtlinien und dem kantonalen Richtplan basiert. Diese Strategie sieht vor, dass Gemeinden mit überdimensionierten Bauzonen Rückzonungen vornehmen müssen.
b.Verfahren und Anhörung
- Die betroffenen Grundeigentümer hatten die Möglichkeit, Einsprache gegen die Rückzonung zu erheben und ihre Anliegen vor der Gemeindeversammlung und den kantonalen Behörden vorzubringen.
- Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer wurde gewahrt, da sie ihre Einwände im Rahmen der Einspracheverfahren und der nachfolgenden Beschwerden geltend machen konnten.
c. Materielle Enteignung
- Das Bundesgericht stellte fest, dass eine Rückzonung nur dann eine materielle Enteignung darstellt, wenn sie einen schweren Eingriff in das Eigentum darstellt und eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Grundstücks erheblich beeinträchtigt wird.
- Im vorliegenden Fall wurde die Rückzonung als verhältnismäßig und notwendig erachtet, um die überdimensionierten Bauzonen zu reduzieren und den Anforderungen des RPG zu entsprechen.
d. Koordination mit der Gesamtrevision der Ortsplanung
- Das Gericht betonte, dass die Rückzonung im Rahmen einer Teilrevision der Ortsplanung zulässig sei, auch wenn eine Gesamtrevision der Ortsplanung bevorsteht. Die Rückzonung diene dazu, die Bauzonen auf ein angemessenes Maß zu reduzieren und die raumplanerische Entwicklung der Gemeinde zu steuern.
3. Diskussion des Urteils hinsichtlich der Neuerung zur Enteignungsentschädigung
Das Urteil des Bundesgerichts vom 22. August 2024 bringt eine wichtige Neuerung im Bereich des Enteignungsrechts mit sich: Eine Enteignungsentschädigung für die Auszonung eines RPG-konform eingezonten Grundstücks entfällt nach 15 Jahren der Nicht-Überbauung. Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Raumplanung und das Enteignungsrecht in der Schweiz.
a. Hintergrund und Begründung:
- RPG-konforme Einzonung: Grundstücke, die gemäß den Bestimmungen des RPG in eine Bauzone eingezont wurden, müssen innerhalb von 15 Jahren überbaut werden, um ihren Status als Bauzone zu behalten.
- Nicht-Überbauung: Wenn ein Grundstück innerhalb dieser Frist nicht überbaut wird, kann es aus der Bauzone zurückgezont werden, ohne dass eine Entschädigung für die materielle Enteignung fällig wird.
- Verhältnismäßigkeit und Planungssicherheit: Das Bundesgericht argumentierte, dass diese Regelung notwendig sei, um die Verhältnismäßigkeit und Planungssicherheit zu gewährleisten. Überdimensionierte Bauzonen würden die raumplanerische Entwicklung behindern und den Zielen des RPG widersprechen.
b. Kommentare und Reaktionen
- EspaceSuisse: Fachkommentare von EspaceSuisse betonen, dass diese Entscheidung die Gemeinden in ihrer Aufgabe unterstützt, überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren und eine nachhaltige Raumplanung zu fördern.
- Rechtsanwälte und Raumplanungsexperten: Einige Experten sehen die Entscheidung kritisch, da sie die Rechte der Grundeigentümer einschränken könnte. Sie argumentieren, dass die 15-Jahres-Frist zu kurz sei und nicht alle Eigentümer in der Lage seien, ihre Grundstücke innerhalb dieser Zeit zu überbauen.
- Praktische Auswirkungen: Die Entscheidung wird voraussichtlich zu einer verstärkten Überprüfung und Anpassung der Bauzonen in den Gemeinden führen. Grundstückseigentümer müssen sich der Frist bewusst sein und ihre Bauabsichten entsprechend planen.
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4. Fazit und Ratschlag
a) Das Urteil des Bundesgerichts vom 22. August 2024 stellt eine bedeutende Entwicklung im schweizerischen Raumplanungs- und Enteignungsrecht dar. Es unterstreicht die Notwendigkeit, überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren und die raumplanerische Entwicklung im Einklang mit den Zielen des RPG zu steuern. Gleichzeitig wirft es Fragen zur Angemessenheit der 15-Jahres-Frist und den Rechten der Grundeigentümer auf. Die Diskussionen und Fachkommentare zu diesem Urteil werden die zukünftige Praxis und Rechtsprechung in diesem Bereich maßgeblich beeinflussen.
b) Präventiv:
Von Grundeigentümern mit unüberbauten Bauzonengrundstücken sollte daher (periodisch ohnehin) mit rechtskundiger Unterstützung (z.B. durch uns auf www.bauanwalt.ch präsente, fachkundige “SCHALTEGGER Rechtsanwälte”) abzuklären sein, ob der geltende Nutzungsplan als RPG-konform zu betrachten sei (Fragen-Klärung wie u.a. “Sind die Bauzonen in der Gemeinde offensichtlich überdimensioniert?); je nach dem muss im Einzelfall sodann u.a. ermittelt werden, ob die allenfalls drohende Auszonung/Nutzungsbeschränkung eine die materielle Enteignung erreichende Intensität hätte (z.B. Total-Auszonung, oder nur Teil-Aus-/Rückzonierung?). Allenfalls wäre sogar eine rasche Überbauung des Grundstücks (!) durch den Eigentümer in Betracht zu ziehen, soweit überhaupt noch möglich…?
c) Aufgrund dieses Urteils des Bundesgerichts sollten sich sämtliche Grundeigentümer (mit unüberbauten Baugrundstücken in den Bauzonen) - jedenfalls periodisch - diesen Rechtsfragen stellen - es könnte ein “böses Erwachen” folgen …
d) SCHALTEGGER Rechtsanwälte - www.bauanwalt.ch - stehen dabei für eine fachkundige Unterstützung zur Verfügung.
1C_588/2023, 1C_593/2023, 1C_602/2023, Urteil vom 22. August 2024